Schlösser und Burgen in Baden-Württemberg
  Schloss Lohrbach
 

Im kleinen Lohrbach, einem Odenwald-Dorfe nahe Mosbach, in nicht geringer Abgeschiedenheit findet man eine der größten Köstlichkeiten badischer Baukunst. Namentlich darf von einem Renaissance-Schloss geschwärmt werden, welches unter den schönsten Baden-Württembergs, ja, welches als Renaissance-Wasserschloss von ausgesuchter Romantik im Bundesland wohl unübertroffen.
Der Ort selbst zeigt wohl zwei alte Kirchen, auch manch’ Fachwerkgebäu. Nichts aber würde auf die Renaissance-Perle deuten, stünde da nicht ein wenig abgerückt von der Hauptstraße ein staufischer Bergfried. Jener, vermutlich im 13. Jahrhundert errichtet, tritt quadratisch-wuchtig in die Höhe und präsentiert an den Ecken die den Staufern so beliebten Buckelquader, welche das bullig-wehrhafte Aussehen billig befördern. Das Obergeschoss ging ab, an dasselbe aber kunstvoll erinnernd ein umlaufender Rundbogenfries. Der Bergfried zeigt das älteste Stück der Schlossanlage, gleichzeitig das einzige, welches noch auf raue und abweisende Art ins Mittelalter weist. Wenige Meter vor dem Schlosse, erscheint es gleichsam als dessen Wächter, aufmerksam auf jeden eintreffenden Besucher herunterblickend.
Der Bergfried, der mitunter erst aufs 15. Jahrhundert, in längst nicht mehr staufische Zeit datiert wird, er steht im Bunde mit verdeckender Vegetation. Umso beeindruckender also der Blick auf das dreiflügelige Schloss, wenn man den Turm dann passiert hat.
Die drei Flügel bilden einen Hof aus, welcher ungefähr in Richtung des Eintreffenden geöffnet. Zudem spannt alsbald eine steinere Brücke über einen Wassergraben eben auf den Hof zu. Man fühlt sich willkommen. Wer aber alleine der Baukunst zu Ehren sich eingefunden, der erfährt durch eine Ansicht, welche im Vollzuge höchster Kunstfertigkeit auch noch ein höchst malerisches Bild zeichnet, das romantischer kaum vorstellbar, der fühlt sich mehr als willkommen, dessen Augen nämlich werden förmlich umschmeichelt.
Auch unsereins stand wie vom Schlage gerührt vor diesem Prospekt. Das Dorf hatte mitnichten vorbereitet, der Bergfried als rohes Ding noch in ganz andere Richtungen der Baukunst gewiesen. Im Banne des Schlossbildes steht man billig in einer anderen Welt.


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Wenig später verrät eine informative Tafel, dass dieses Monument nur wenige Jahrzehnte zuvor im vollständigen Verfall begriffen; dass gleichsam im letzten Momente eine Gruppe privater Investoren, unterstützt denn auch von Baden-Württemberg das daniederliegende Gebäu aus Apathie und Todeskampf in ein neues Leben riss! Zu Tränen gerührt, glaubt man mal wieder an das Gute im Menschen.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die bedeutendsten Anteil der einst so mächtigen Kurpfalz (seit knapp drei Jahrzehnten aber nur noch bayrisches “Anhängsel“) an die geschickt wie feist emporkommende Markgrafschaft Baden fiel, da trat auch das seit fast vier Jahrhunderten kurpfälzische Schloss den Weg in badische Hände an. Diese reichten sogleich an lokalen Adel weiter. Wie regelmäßig zu beobachten war aber auch dieser ein mehr oder wenig dahinsiechender. Das Schloss jedenfalls siechte dahin, bis es endlich nach knapp 150 Jahren zunächst in öffentliche, bald in private Besitzverhältnisse überging. Beiden gemeinsam jedoch, dass dem vorangeschrittenen Verfall allenfalls hilflos Einhalt geboten ward.
Fotos aus diesen Jahren zeigen ein Bild, dessen Verfallsgrad beinahe wie ein Akt der Vergewaltigung wirkt: Zerstörung durch Versäumnis! Eines der bedeutendsten Zeugnisse der Renaissance in Baden-Württemberg - verschont wie ein Wunder vom brutal verwüstenden 17. Jahrhundert und auch hernach allen kriegerischen Auseinandersetzungen sich glücklich entziehend - es ward solcher Vernachlässigung anheim gegeben, dass sein Aussehen endlich wie dem Luftkrieg des Zweiten Weltkrieg geopfert!
Die Schönheit, mit letzter verbliebener Kraft rang sie um Hilfe. Und es war das Land Baden-Württemberg, das Ende der 1970er zunächst in die Presche sprang, mit allernotwendigsten Sicherungsmaßnahmen bedachte, welche zumindest den weiteren Verfall aufzuhalten imstande.
Die wirkliche Rettung erst 1982 durch eine private Käufergruppe, welche auch noch mit dem nobelsten aller baulichen Ziele: der Schaffung erschwinglichen Wohnraumes (ergänzt durch eine Tagungsstätte). Kein Palast also für den neuen Adel, den Geld-Adel. Und was sich dann in den nächsten sanierenden und restaurierenden Jahren ereignete, war nichts weniger als eine Renaissance der Renaissance!

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Der bedeutenden Schönheit, eben noch im Todeskampfe einer Ruine, ward tatsächlich neues Leben eingehaucht. Zu neuer Blüte schwang sie sich auf, zu neuer Blüte, die doch das Alte zeigte, den feinen Stil der Renaissance. Es war die mächtige Kurpfalz, die dieses Schloss gewirkt hatte. Zwar besaß es Vorgänger, welche bis ins 11./12. Jahrhundert zurückreichen; und neben mancherlei Adelsgeschlecht standen im 13. Jahrhundert auch die stolzen Johanniter in Besitzerschaft. 1413 aber kam die Veste an die Pfalzgrafschaft Mosbach, welche Ende des 15. Jahrhunderts per Erbgang in der Kurpfalz aufging. Der einzige Überrest der Burganlage, welche in den Wechselfällen des Hochmittelalters sehr munter hin- und hergereicht wurde, überdies im Jahre 1299 vom belagernden Württemberger Eberhard II. mancherlei Schaden litt, ist der eingangs erwähnte Bergfried. Indessen erzählt dieser in seiner abweisenden Manier  trefflich von den rauen mittelalterlichen Zeiten.
Vom hochmittelalterlichen Schloss aber blieb nichts zurück. Die Kurfürsten der Pfalz nämlich hatten statt wehrhafter Veste einen kunstvollen Palast im Sinne. So erwiesen sie dem Gebäu, welches zwar in nicht geringer Ferne von der Hauptstadt Heidelberg, dafür in unmittelbarer Nähe zur wichtigen Oberamtsstadt Mosbach, von allem Anfang ihre großzügige Gunst.
Zunächst war es Kurfürst Ludwig V., der nach 1508 den Nordflügel errichten ließ. Dieser Flügel, der dem Eintretenden der nähere, zeigt wohl weniger Pracht als der später errichtete Fürstenbau (Südflügel), dafür aber atmet er via Spätgotik noch letzte Züge mittelalterlicher Rustikalität - eine Rustikalität welche sich in Zusammenschau mit der feinen Renaissance des Fürstenbaus gar trefflich kontrastierend ausnimmt.
Der nicht allzu lange zweistöckige Bau wird auf seiner übergiebelten Vorderseite (rechts der Steinbrücke) durch einen annähernd quadratischen Erker, der diagonal heraustritt trefflich veredelt; wie denn auch der runde Treppenturm, welcher an der Hofseite des Flügels, die Ansicht bereichert. Hier wie an der Außenseite treten die weiß verputzten Geschosse auf hohen Bruchsteinsockeln (Buntsandstein) unmittelbar aus dem wasserbefüllten Schlossgraben in die Höhe. Jener Graben, dank zahlreicher auch hoch stehender Vegetation, überführt denn nicht nur den Nordflügel in ein entschieden malerisches Bild. Die Innenseite zum rechteckigen Schlosshof zeigt indes im zweiten Geschoss eine in Fachwerk ausgeführte Galerie, welche gewinkelt auch über den Mittelflügel laufend. Was der Außenseite der eingegrünte Wassergraben, das ist der romantischen Innenansicht jene Fachwerkgalerie. Schöne Steinsäulen tragen das Fachwerk, welches im erbaulichsten Kontrast zu den anderweitigen steinernen oder verputzten Partien der Schlossansicht.
Die Fenster des Nordflügels zeigen feine Profilierung und ebenso typisch für Spätgotik/Frührenaissance unregelmäßige Rahmungen, die allenthalben durch Fortsätze in die weißen Putzflächen greifen. Erst für den späteren Fürstenbau sollten die Rahmungen regelmäßiger werden, der rustikale mittelalterliche Eindruck fast vollends getilgt werden.


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Als nächster bedeutender Bauherr trat Kurfürst Friedrich III. auf, welcher denn bis auf den Nord- und Mittelflügel alles Bestehende abtrug und den schon eingeführten Fürstenflügel gleichsam als Prachtbau des Schlosses errichten ließ. Der dreistöckige, nach vorne wiederum übergiebelte Bau wurde ab 1572 im Geiste deutscher Hochrenaissance ausgeführt.
Zumeist beeindruckt auch hier die schmale Vorderansicht, welche durch das zusätzliche Stockwerk gar monumental aus dem Wassergraben stößt. Die vertikale Wirkung wird durch zwei Eckerker noch befördert.  Ein rechteckiger fährt gleich dem Erker des Nordflügels diagonal und über die gesamte Gebäudehöhe aus der Hausecke, und gegenüber steht ein runder Fortsatz zweigeschossig auf kräftigen Konsolen. Letzterer ward ganz aus rotem Sandstein verfertigt, was überdies einen schönen Materialkontrast zum wiederum weiß verputzten Bau gewinnt. Die in den drei Stockwerken konsequent als Zwillingsfenster konzipierten Öffnungen zeigen wiederum feine Profilierung, aber elegantere Rahmungen als der Nordflügel. Bei aller Gunst des Kurfürsten konnte diesem der Capitale fernen Schloss freilich nicht jener allerhöchste Kunstsinn, wie ihn das Heidelberger Residenzschloss durchströmte, gebühren - und so verbleibt selbst dem Fürstenbau bei aller Hochrenaissance ein noch mittelalterlicher Zug, welcher durch unregelmäßig gearbeitete Fensterrahmungen bewirkt. Die kunstvollste Partie - edel auch im Sinne gestrenger Hochrenaissance - macht also der Runderker.
Weiter beachtenswert der polygonale Treppenturm im Winkel des kurzen westlichen Fortsatzes des Fürstenbaus. Eine schon barocke “Welsche Haube” deckt ab, und gegenüber der Putzebene zurücktretende Eckquaderung unterstreicht die vertikale Wirkung. Letztere eine auch an den Flügeln regelmäßig zu gewahrende formale Maßnahme, welche wiederum als ein Nachhall auf das Mittelalter rustiziert, d.h. wehrhaft-abweisenden Charakter wirken will. Die Eckquaderung, ganz allgemein noch ein stiltypisches Mittel der zum Mittelalter vermittelnden Renaissance.
Bei Betrachtung des Treppenturmes fällt zwangsläufig der eingeschossige Versatz zwischen Fürstenbau und Mitteltrakt auf. Diese Ruptur entstand durch Brand in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts. Das Feuer kostete Mittel- und Nordflügel die oberen Stockwerke, welche hernach nur teilweise wieder aufgebaut. Darum also der auffällige Gebäudeversprung zum Fürstenbau.
Um das äußere des Fürstenbaus zu komplettieren, sei auf die Verputzung auch der im Graben stehenden Grundmauern verwiesen. Optisch erhält der Bau somit ein weiteres Stockwerk, was denn die Höhenwirkung und damit die Monumentalität beträchtlich steigert. Hier und da lugen aus diesen Grundmauern auch noch Schießscharten hervor, welche dem ansonsten so kunstvollen Bauwerk ganz unerwartet nochmals echte Wehrhaftigkeit anheften.


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Wie das unregelmäßige “Hufeisen” des Schlosses, so war übrigens auch der so malerische Wassergraben ganz heruntergekommen, will in diesem Fall heißen: verlandet! Auch er wurde trefflich “reanimiert“. Im übrigen: stellte man sich das Schloss wie viele andere Beispiele mit zugeschüttetem Graben vor, wie also das umgebende Gelände profan an die Erdgeschossfassaden stieße - das Bauwerk verlöre bei allem Kunstsinne ein gewichtiges der Ansehnlichkeit! Auch lohnt sich ein Vergleich mit den streng gemauerten Gräben des Wasserschlosses Presteneck oder der Handschuhsheimer Tiefburg um das explizit Malerische des eingegrünten Wassergrabens ganz zu begreifen. Einst war das umgebende Gewässer noch bedeutend größer, verlieh dem Schloss gar echten Inselcharakter. Gegen Ende des 30jährigen Krieges aber, bei welchem das kunstvolle Lustschloss übrigens zur einfachen Fluchtburg degradiert, war der große See weitgehend verlandet und wurde nicht mehr reaktiviert.
Neben dem staufischen Bergfried ergänzen zwei weitere Bauten den heute noch erhaltenen Anteil des Lohrbacher Wasserschlosses. Eines davon kommt in ehemaliger Funktion als Nebengebäude und aktueller Gestalt als dachlose, entkernte Ruine. Auch dieser zweistöckige, längliche Bau zeigt noch feine Renaissance-Details, und so mag er an den vor wenigen Jahrzehnten so desolaten Zustand vor allem des Nordflügels erinnern. Gleichsam ein Mahnmal. Anderweitige besondere Vorzüge will man solch roher Ruine zumindest in der unmittelbaren Nähe eines vorzüglichen Schlossbaus nicht eingestehen.
Das zweite Gebäu hat eine der merkwürdigsten baulichen Karrieren in Baden hinter sich. Zunächst entstand es 1585 außerhalb der Wälle und Mauern in Gestalt eines Rundturmes, der als befestigender Solist eine Quelle zu schützen hatte. Im 17/18. Jahrhundert gesellte sich ein neuer Gebäudeteil hinzu: die Schutzfunktion ward nämlich nicht mehr gebraucht (außerdem mittlerweile wirkungslos), statt dessen aber eine kurpfälzische Zehntscheuer gewünscht. Da wurde aus der “Quellenveste” also ein Zehntscheuerturm.
Und die dritte bedeutende Umwidmung, als nachhaltigste gültig bis ins 21. Jahrhundert, kam 1763/64. Hier nämlich - angeblich auch noch durch Franz Rabaliatti, einen der wichtigsten Baumeister des Barock in der Kurpfalz, mit mannigfaltigen Aufträgen in Heidelberg und Mannheim - ward der Turm und mit ihm die Scheuer zur katholischen Pfarrkirche geweiht. Zu diesem Behufe traf natürlich auch das Äußere des bisherigen Profanwerkes manch barocke Veredelung. Was hierbei das ins Auge schlagende: die kurios proportionierte/aufgesetzte Dachzwiebel für den Campanile! Gewiss die ulkigste Dachzwiebel in ganz Baden. Dem schlanken Rundturm jedenfalls ist die aufgeblähte Blechhaube gleich mehrere Nummern zu voluminös. Sie stammt aus späteren, weniger sensiblen Tagen.
Wenn man sich an der lustigen Gestalt erfreut und hierbei auch noch die am Mauerwerk leicht ablesbare Aufstockung erkennt, steht man indessen schon wieder an der Hauptstraße Lohrbachs. Vielleicht sinnt man noch ein wenig über die extraordinäre Laufbahn des Campanile nach: zuerst Quellenveste, dann Teil einer Zehntscheuer, endlich Turm eines Gotteshauses und bedacht mit wunderlicher Zwiebelhaube! Illuster.
Dann aber doch ergreifender das Schicksal des Schlosses, von dem hier und da auch von der Hauptstraße aus Partien zu erkennen. Das 20. Jahrhundert, es war nach dem Willen der führenden Protagonisten des Modernismus ganz offiziell das erste der Baukunst feindliche Jahrhundert der Menschheitsgeschichte - und dennoch, durch den Erhalt und die Wiederherstellung heruntergekommener oder zerstörter Gebäude (vor allem durch den Zweiten Weltkrieg), die dem “modernen” Zeitgeist häufig nur noch als historischer Ballast galten, konnte es doch auch sehr viel Gutes wirken. Und das Lohrbacher Schloss bedeutet ein Vorzeigebeispiel.


Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale; Ort und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage www.schloss-lohrbach.de
4) Informationstafel vor Ort  
          

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