Schlösser und Burgen in Baden-Württemberg
  Stuttgart Neues Schloss
 

Mit dem Neuen Schloss in Stuttgart leisteten sich die württembergischen Herzöge nach dem Schloss Ludwigsburg das zweite große Residenzschloss im Barockstil. Das war durchaus ein Unerhörtes, für das damals noch überschaubare Herzogtum genau 1 Residenzschloss zuviel, finanziell eigentlich nicht zu schultern. Möglich war dies nur aus einem einzigen Grund: Stuttgart hatte  als traditionelle Hauptstadt eben diese Funktion seit wenigen Jahrzehnten an das nahe, dafür ungleich kleinere, ja noch nicht einmal befestigte Ludwigsburg verloren. Und so war man von Seiten der Stadt und der württembergischen Ständeversammlung eben doch bereit, tief in den sparsamen schwäbischen Geldbeutel zu greifen, um diesen schweren Makel des Bedeutungsverlustes wieder zu beheben.
1746 wurde unter Herzog Carl Eugen nach langen Auseinandersetzungen schließlich der Grundstein gelegt. Der Bau indessen, geplagt von mancherlei Unterbrechung, zog sich noch bis 1807 hin. Die Schlossanlage heimste sich darüber ein Superlativ ein: das Neue Schloss ist die letzte große Barockresidenz ganz Deutschlands!
Jener späten Erbauungsphase ist allerdings auch geschuldet, dass die spätbarocken Fassaden akademisch unterkühlt des barock-typischen Schwungs ermangeln und nicht mehr vollauf begeistern wollen. Wenngleich auch hier noch das französische Versailles als Vorbild diente, fällt das Neue Schloss in puncto Fassadengestaltung hinter mehrere Barockresidenzen Baden-Württembergs zurück: die Schlösser in Ludwigsburg, Rastatt, Karlsruhe und Bruchsal. Dem ungeachtet bildet die Anlage zusammen mit dem Schlossplatz, dem burgartigen Alten Schloss, das südlich angrenzt und dem spätklassizistischen Königsbau das ansehnliche Zentrum Stuttgarts. Zumeist reizvoll ist die Zusammenschau mit dem bulligen Alten Schloss, der durch Renaissance veredelten Burg, die als Vorgänger der Ludwigsburger Residenz also der Vor-Vorgänger des Neuen Schlosses war.
Obige Abbildung zeigt den Blick vom Schlossplatz in den Ehrenhof der Dreiflügel-Anlage. Links sieht man den Garten- und rechts den Stadtflügel. Die Ehrenhof-Fassaden werden vom zentralen Corps de Logis dominiert.
            

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Die in Richtung Ehrenhof oder zum Schlossplatz weisenden Fassaden wurden aufgrund des höfischen Repräsenations-bedürfnisses ganz aus edlem gelben Sandstein errichtet, wohingegen die restlichen, weniger repräsentativen Fassaden unter Hinzunahme von weit kostengünstigeren Putzflächen gestaltet wurden.
Die Ehrenhof-Fassaden des nördlichen Garten- und südlichen Stadtflügels erhielten zur weiteren Belebung je zwei Risalite, die links (der östliche) und rechts (westlich) wiedergegeben sind. Zahlreiche Gliederungselemente sorgen für Detailreichtum: im Erdgeschoss Dreiviertel-Säulen in Toskanischer Ordnung, ionische Pilaster im Piano Nobile (Obergeschoss) und kurze korinthische Pilaster im Mezzanin-Stockwerk — alle jeweils in der die vertikale Wirkrichtung verstärkenden Zwillingsanordnung. In der Horizontalen laufen die Gesimsbänder der angrenzenden Fassadenpartien über die Risalite hinweg und binden diese somit ein. Nach oben beschließen Balustraden mit barock bewegten Statuen.
Die Pracht genannter Risalite wird für den zentralen Risalit, das Corps de Logis, folgerichtig nochmals gesteigert (rechtes Foto). Der bei vorgenannten Partien bereits angedeutete Balkon tritt hier deutlich nach vorne, verziert durch Statuen. Nach oben schließt das Würdesymbol Dreiecksgiebel, ausgefüllt von dem reich ausstaffierten Wappen. Wie auch die Dichte der dynamischen Barockskulpturen hier kulminiert. Auch ohne nennenswerte Dynamik wölbt sich das Corps reizvoll nach vorne und wird hinter dem Dreiecksgiebel von einer gestuften Kuppel überwölbt.
            

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Die lange Erbauungszeit des Neuen Schlosses hatte natürlich auch eine Reihe von Architekten zur Folge. Den Anfang machte der bei der Ludwigsburger Vorgänger-Residenz bereits erfolgreiche Italiener Leopoldo Retti. Von 1746 bis zu seinem krankheitsbedingten Tod 1751 zeichnete er die Verantwortung für die erste Bauphase, in  welcher der nördliche Gartenflügel und das Corps de Logis entstanden.
Es folgte in der zweiten großen Bauphase bis 1768 der Franzose Philippe de La Guêpière, streng dem Vorbilde Versailles folgend, den Mitteltrakt und den südlichen Stadtflügel bearbeitend. In diese Zeit, näherhin 1762, viel jedoch auch die erste große Schloss-Katastrophe, der verheerende Brand des Gartenflügels, für welchen Philippe de La Guêpière die Inneneinrichtung entwickelt hatte. Das ohnehin schon angestrengte Baubudget musste durch die Zusatzlast eines Wiederaufbaus natürlich hoffnungslos überfordert werden. Das "Hickhack" zwischen Herzog Carl Eugen und der Stadt und den Ständen endete 1774 im "verschnupften" Rückzug des Herzogs in die alte Residenz Ludwigsburg. Die Verlegung des Hofes tat einmal mehr ihre Wirkung, schon 1775 kehrte Carl Eugen zurück und erhielt die Mittel zu Instandsetzungen und Weiterbau. Als Architekt bis zum Tod des Herzogs 1793 agierte vor allem der Stuttgarter Reinhard Ferdinand Heinrich Fischer, in einer Art Zwischenphase, die zu keinen weitreichenden Maßnahme in der Lage war.
Die dritte große Bauphase unter Herzog Friedrich I. leistete der klassizistische Architekt Nikolaus Friedrich von Thouret, wie sein Vorgänger Württemberger. Bis 1807 baute er den immer noch darniederliegenden Gartenflügel wieder auf, vollendete das Corps de Logis und nahm auch zeitgenössische Umgestaltungen der Innenräume vor. Die zeitgemäße klassizistische Auffassung des begabten Thouret durfte sich nur bei letzteren beweisen, wohingegen die Fassaden nämlich im schon überlebten Spätbarock vollendet wurden, was jedoch der äußeren Homogenität der Dreiflügelanlage zu ihrem zweifelsfreien Vorteil gereichte.
Links der schöne Mittelrisalit der Gartenseite des Nordflügels — rechts oben Blick in den Ehrenhof mit dem Corps de Logis und östlichem Risalit des Gartenflügels — rechts unten die zum Schlossplatz zeigende Stirnseite des südlichen Stadtflügels.

            

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Die Fertigstellung des Schlosses erfolgte kurioserweise fast gleichzeitig mit der Erhebung des Herzogtums (über das kurzzeitige Kurfürstentum) zum Königreich Württemberg. Friedrich I. wurde zum ersten württembergischen König und fand im Neuen Schloss einen zweifellos würdevollen Rahmen. Kühle Prachtenfaltung und auch die schiere Größe der Anlage jedenfalls waren eines kleinen Königreichs durchaus das entsprechende politische und repräsentative Zentrum. Von Napoleons Gnaden durfte sich das Herzogtum Württemberg im frühen 19. Jahrhundert flächenmäßig verdoppeln, dabei vor allem nach Norden, Süden und Westen wachsend. Bestätigt wurden Landmasse und Königtum dann durch die siegreiche Opposition gegen den französischen Kaiser ab 1813.
Links oben blickt man auf die obere Partie des Corps de Logis, den repräsentativsten Gebäudeteil des gesamten Schlosses.
Die akademische Kühle mag den barocktypischen Schwung und Liebreiz konterkarieren, die edle Eleganz des gelben Sandstein, der von ihm geformten diversen Glieder werden als würdiger Ausgleich unterstrichen: Blick in die gerundete Südost-Ecke des Ehrenhofs (links unten). Während beim Mitteltrakt die gesamte Ehrenhoffassade durch ein Mezzaningeschoss erhöht ist, wurde dieses Gestaltungsmittel am Garten- und Stadtflügel nur bei den Risaliten eingesetzt. Das an die Risalite stoßende Dach ward in der barocktypischen Mansarde-Form gewählt, zusätzlich belebt durch zahlreiche Sandsteingauben in Verlängerung der Fenster des Piano Nobile. 

            

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Bei aller Eleganz des Neuen Schlosses darf man dennoch nicht die historische Chance unerwähnt lassen, die beim Schlossbau vertan wurde. Niemand geringeres nämlich als der wohl größte Barockbaumeister Deutschlands, der berühmte Balthasar Neumann, wurde zu einem Entwurf aufgefordert. Hätte man diesen umgesetzt, das Neue Schloss wäre defintiv zu einem der bedeutendsten Barockschlösser Deutschlands, ja Europas aufgestiegen, in einem Atemzug mit Neumanns Würzburger Barockresidenz (UNESCO-Weltkulturerbe) zu nennen. Welch' Ruhm für den König, für Stuttgart bis heute, welch' aber vermutlich auch nicht zu bezahlender Ruhm... über die finanziellen Mittel wurde ja bereits gesprochen... ein zweischneidiges Schwert also!
Jenseits der Ehrenhoffassade gefällt zumeist die Außenseite des Gartenflügels, noch heute nach Norden eine Parkanlage auf sich beziehend (Bild links oben). Auch hier ziert zumeist der sich nach vorne wölbende Mittelrisalit mit Dreiecksgiebel, beschließen rechts und links zwei kurze Flügel. Hoch legt sich das Mansarde-Dach auf die beiden Fassaden-Stockwerke.
Links unten blickt man nochmals in den Ehrenhof. Von außen deutet nichts mehr auf die zweite große Schloss-Katastrophe, welche wie für die gesamte Altstadt Stuttgarts der Zweite Weltkrieg bedeutete. Die verheerenden Luftschläge vernichteten Alt-Stuttgart und ließen auch vom Neuen Schloss nur ausgebrannte Fassaden. So groß war der Schaden, dass man lange mit dem Wiederaufbau zögerte, an dieser Stelle sogar mit einem Hotel-Neubau liebäugelte. Zum großen Glück Stuttgarts kam dann doch die Wiedererrichtung, welcher auch das Alte Schloss, die Gebäude am benachbarten Schillerplatz und den klassizistischen Königsbau zurückbrachten, dem wenig ansehnlichen modernen Stuttgart immerhin ein schönes Stadtzentrum sicherte.

            

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Sehr ansehnlich wurden auch die beiden zum Schlossplatz weisenden Stirnseiten von Garten- und Stadtflügel (Foto links oben) gestaltet, wiederum mit blickfangendem dreiachsigen Risalit, der auf Doppelsäulenstellung im Erdgeschoss, einen repräsentativen Balkon ablastend, keineswegs verzichten mag. Je nach Perspektive erscheinen die Stirnflügel wie eigene kleine Lustschlösser.
Zweifellos ansehnlich erzeigt sich auch die nach Osten weisende Gartenseite des Mitteltrakts (Bild links unten), dominiert von einem wuchtigen, weit nach vorne tretenden Risalit, die Gebäudesymmetrie unterstreichend. Jedoch in allen Detailgestaltungen deutlich bescheidener ausfallend, fällt die Schönheit gegenüber der zum Ehrenhof weisenden Schauseite zurück.
Die insgesamt schönste Gebäudepartie, das Corps de Logis ist nochmals rechts wiedergegeben. Er hält heute wie auch schon historisch den Haupteingang bereit. Einst öffnete er den Weg in die königlichen Räumlichkeiten, seit der sanften Revolution 1918 zu einem Museum und seit dem Wiederaufbau 1958-64, der die Innenräume nur teilweise restaurierte, zur baden-württembergischen Landesregierung, namentlich dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft. Beamten also statt Könige; und obgleich mancher darin keinen Unterschied sehen will, ist der alte höfische Glanz des württembergischen Königshauses, der fast notwendige kongeniale Partner solch prächtiger Gemäuer ganz verflogen...


Quellen
1) Besichtigung vor Ort: Schloss und Stadt 
2) Wikipedia-Artikel Neues Schloss (Stuttgart)
3) offizielle Website Neues Schloss Stuttgart

4) Gradmann, Eugen / Christ, Hans / Klaiber, Hans: "Kunstwanderungen in Württemberg und Hohenzollern", Belser Verlag Stuttgart, 1955

            

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